Hartz V – Das neue Bürgergeld bleibt Armut per Gesetz

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Neue Etikette

Die SPD will mit dem „Bürgergeld“ einen „Schlussstrich“ unter die Agenda 2010 ziehen und das Image als
Partei der „sozialen Kälte“ abstreifen. Bundessozialminister Heil (SPD) sieht den vorliegenden Entwurf als
Überwindung des Hartz-IV-Systems. Der Entwurf löst das nicht ein:

  1. Die vorgesehene Erhöhung der Regelsätze ist unzureichend. Alleinstehende Erwachsene sollen 53
    Euro mehr im Monat als bisher bekommen (statt aktuell 449 künftig 502 Euro). Das ist gerade mal
    der Inflationsausgleich.
  2. Auch künftig sind Kürzungen als Sanktionen vorgesehen. Das Kürzungsmoratorium bis zum
    30.06.2023 wird nicht verlängert.
    Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, Ulrich Schneider, sagt: „Es muss endlich
    Schluss sein mit den Armutssätzen. Sanktionen gehören restlos abgeschafft. Nur dann kann von einer
    Überwindung von Hartz IV und einem echten Bürger*innengeld gesprochen werden.”
Reicht nicht für gesellschaftliche Teilhabe

Die bisherigen Regelsätze wurden methodisch fehlerhaft berechnet und sind deshalb viel zu niedrig. Die
verschiedenen Bundesregierungen haben mit methodischen Tricks das sozio-kulturelle Existenzminimum
„kleingerechnet
“. Das führt zu sozialer Scham und Isolation bei Erwachsenen bis zu Mangelernährung und Entwicklungsdefiziten bei Kindern. Der Paritätische hat eine alternative wissenschaftliche Berechnung
vorgelegt und ist dabei (vor Inflation) auf 678 Euro Existenzminimum gekommen.
Gegen Armut gibt es ein einfaches Lösungsmittel: Geld für die Betroffenen. DIE LINKE, Sozialverbände und
Gewerkschaften fordern armutsfeste Regelsätze. Nach den Berechnungen der Paritätischen sind das 678
Euro. Im Vergleich zu den derzeit geltenden Hartz-IV-Regelsätzen ist das 50 Prozent mehr Geld. Die
Erhöhung der Regelsätze im Bürgergeld um gut 10 Prozent bezeichnet Ulrich Schneider als „schlechten
Witz“. Ein Leben ohne Armut und gesellschaftliche Teilhabe sind damit nicht möglich.
Auch das Konstrukt der „Bedarfsgemeinschaft“ soll weiterbestehen. Andere Haushaltsmitglieder werden
in Haftung genommen, wenn jemand Anspruch auf Bürgergeld hat (z.B. indem Einkommen und Vermögen
der Haushaltsmitglieder angerechnet werden). Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft erhalten nur
anteilige Regelleistungen (vgl. Tabelle unten).

Bürgergeld Regelsatz 2023 Übersicht
Hartz IV/ Bürgergeldbis 2022ab 2023ein Plus von
Regelbedarf für Alleinstehende/ Alleinerziehende
(Regelbedarfsstufe 1)
449 €502 €53 € (11,8%)
Volljährige Partner innerhalb einer Bedarfsgemeinschaft
(Regelbedarfsstufe 2)
404 €452 €48 € (11,9%)
RL unter 25-Jährige im Haushalt der Eltern /
Strafregelleistung für ohne Zustimmung ausgezogene U 25’er
(Regelbedarfsstufe 3)
360 €402 €42 € (11,7%)
Kinder 14 bis 17 Jahre
(Regelbedarfsstufe 4)
376 €420 €44 € (11,7%)
Kinder von 6 bis 13 Jahre
(Regelbedarfsstufe 5)
311 €348 €37 € (11,9%)
Kinder bis 5 Jahre
(Regelbedarfsstufe 6)
285 €318 €33 € (11,6%)
Sanktionen sind nutzlos und schaden

Kürzungen („Sanktionen“) wurden vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in weiten Teilen für
verfassungswidrig befunden (Urteil vom 05.11.2019). Der Regelsatz soll das soziokulturelle
Existenzminimum garantieren. Alles was darunter liegt, reicht nicht mehr zum Leben – die „Würde wird
angetastet“. Die Höhe des Hartz-IV-Regelsatzes liegt bereits an der Grenze des verfassungsrechtlich
gebotenen, wie das BVerfG ebenfalls feststellte. Trotzdem soll es weiter Kürzungen geben. Das
grundgesetzlich garantierte Existenzminimum (vgl. Art. 1 Abs. 1 u. Art. 20 Abs.1 GG) kann damit doppelt
unterschritten werden: durch einen grundsätzlich zu niedrigen Regelsatz (s.o.) und durch mögliche
Kürzungen. „Sanktionen“ werden nach wiederholten „Pflichtverletzungen“ und „Meldeversäumnissen“
verhängt und sollen höchstens 30 % der Sätze betragen. Die Kosten für Wohnung und Heizung sollen – im
Unterschied zu Hartz IV – künftig nicht mehr gemindert werden.
Ein „Bürgergeld“, das solche Kürzungen zulässt, verfehlt die Funktion einer Grundsicherung und ist auch
kein Ausdruck von Würde, Respekt und Augenhöhe, wie Sozialminister Heil nicht müde wird, zu
behaupten.

Etwa 35 % der Klagen gegen Kürzungen wird vor Gericht vollständig oder teilweise stattgegeben. 40 % der
Widersprüche erfolgreich. Nach dem BVerfG-Urteil vom November 2019 ging die Zahl der Sanktionen
deutlich zurück.
Eine aktuelle wissenschaftliche Studie zeigt, dass Hartz IV-Sanktionen nichts nutzen und die Gesundheit
gefährden. Statt Menschen in Erwerbsarbeit zu bringen, schüchtern Kürzungen ein und verursachen
Krankheiten. Die Betroffenen fühlen sich kontrolliert, bestraft und stigmatisiert. Bereits die Androhung
von Sanktionen verstärkt das Gefühl von Ausweglosigkeit und Isolation. Zudem sind sie
arbeitsmarktpolitisch kontraproduktiv, diskriminieren Menschen mit niedrigem Bildungsgrad und treffen
auch Kinder. Rund 2,8 Mio. Kinder und Jugendliche (= 20,5 %, ein Fünftel) leben in Armut. Die
Kinderarmut ist in den letzten Jahren überdurchschnittlich gewachsen, obwohl der Anteil der
minderjährigen Hartz-IV-Bezieher*innen zuletzt leicht sank (auf 12,9 % im Jahr 2020). Ein Grund dafür:
Die Schwelle für Hartz IV steigt langsamer als die Armutsschwelle. Daher gibt es immer mehr Menschen,
die arm sind, aber keinen Anspruch auf Hartz IV haben. Außerdem werden Leistungen aus Scham oder
Unwissenheit nicht immer in Anspruch genommen. Die bestehenden sozialen Sicherungssysteme reichen
nicht aus, um Kinderarmut zu verhindern. Stattdessen braucht es eine bedarfsgerechte und
einkommensabhängige Kindergrundsicherung.

Das Fazit der Studie: „Das von der Koalition geplante Bürgergeld strebt (…) lediglich Korrekturen des
Systems Hartz IV an, verändert es jedoch nicht grundsätzlich. Um Hartz IV im Kern zu überwinden, müssen
die Repressalien durch Sanktionen unbedingt abgeschafft und der Regelsatz deutlich erhöht werden.“

Einzelne positive Punkte

Der Gesetzentwurf enthält auch Verbesserungen: Künftig soll es eine Schonfrist („Karenzzeit“) geben, in
der die Kosten auch für größere Wohnungen übernommen und Ersparnisse bis 60.000 Euro nicht
angerechnet werden. Für jede weitere Person im Haushalt kommen 30.000 Euro dazu. Der Entwurf
begrenzt dies auf zwei Jahre und auf Neuzugänge in die Grundsicherung. Wer künftig seine
Erwerbsarbeit verliert, muss weniger Angst vor sozialem Abstieg haben (sofern innerhalb von zwei Jahren
eine neue Arbeit gefunden wird). Qualifizierung soll künftig wichtiger sein und finanziell honoriert werden
(„Weiterbildungsgeld“ bzw. „Bürgergeldbonus“). Der Vermittlungsvorrang soll wegfallen.
Das soll wahrscheinlich die Sorgen bei den Beschäftigten vor klimagerechter Transformation und
Digitalisierung mindern – und ist für diese Herausforderungen des Arbeitsmarktes eine ziemlich kleine
Lösung. Diejenigen, die bereits Hartz IV beziehen, haben davon nichts.

Was stattdessen passieren muss
  • DIE LINKE fordert die Erhöhung der Regelsätze auf 678 Euro pro Monat und einen automatischen Ausgleich für die Inflation.
  • Wir wollen das Hartz IV oder Bürgergeld-System umbauen: DIE LINKE fordert eine Solidarische Mindestsicherung.
  • Die Mindestsicherung muss bedarfsdeckend sein, derzeit 1.200 Euro im Monat, um die Menschen vor Armut zu schützen und gleichzeitig ihre Würde zu wahren.9 Sonderbedarfe können extra geltend gemacht werden.
  • Das Konstrukt der „Bedarfsgemeinschaft“ wollen wir abschaffen. Die Mindestsicherung muss ein individueller Rechtsanspruch sein. Das schützt die Menschenwürde und vermeidet Abhängigkeiten.
  • Die solidarische Mindestsicherung ist sanktionsfrei und darf nicht gekürzt werden.