Ursachenfundiert gegen die neuen Triebkräfte der sozialen Spaltung
Hier ein aufklärender Artikel von Prof. Rudolf Hickel, den ich gern komplett übernehme, da er in einfachen Worte erklärt, das Christian Lindner und seine FDP eben nicht recht haben:
„Zu den großen Herausforderungen durch die Pandemie und den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine kommt urplötzlich die sozial spalterische Inflation dazu. Jetzt stellt sich die doppelte Aufgabe: Diese vor allem durch die Energiepreise getriebene Inflation zu verstehen und gegen diese die Gesellschaft zerstörenden Kräfte anzugehen. Reflexhaft wird vielfach auf die alten Lösungsvorschläge zurückgegriffen. Mit Zinserhöhungen soll die Zentralbank die Inflation bekämpfen. Die importierte Inflation muss unter den Bedingungen der Abhängigkeit von fossiler Energie und dem Ausweg durch die ökologischen Transformation neu gedacht werden. Dazu ist viel an Diskurs und Aufklärungsarbeit erforderlich. Dieser Beitrag von Rudolf Hickel dient zum Einstieg und löst hoffentlich intensive Diskussionen aus.
- Wiederkehr der Inflation
Scheinbar über Nacht fordert heute eine sprunghaft gestiegene Inflation mit ihren sozial-ökonomischen Folgen Politik und Gesellschaft heraus. Der durchschnittliche Warenkorb für Güter und Dienstleistungen, die private Haushalte für Konsumzwecke ausgeben, wird in diesem Jahr gegenüber 2021 mit knapp 8% prognostiziert. Diese jüngste Etappe anhaltender Geldentwertung traf die Wirtschaft und Politik mehr oder weniger überraschend. Anfangs prägte die Erwartung einer singulären, schnell wieder verschwindenden Inflation die öffentliche Debatte. Damit hat beispielsweise die Europäische Zentralbank (EZB) ihren Verzicht auf geldpolitisches Gegensteuern zu begründen versucht.
Aufgrund der Erfahrungen der vorangegangenen Jahre dominierte eher die Sorge vor einer Deflation, die durch den Preisverfall auf breiter Front zu einem Einbruch der Gewinnwirtschaft und schließlich in den gesamtwirtschaftlichen Absturz hätte führen können. Die Inflationsrate beim Verbrauch der privaten Haushalte bewegte sich über mehrere Jahre um die Nulllinie. Die EZB sah sich überraschenderweise gezwungen, die viel zu niedrige Inflationsrate mit ihrer Politik des billigen Geldes auf das Niveau der für die gesamtwirtschaftlich stabile Entwicklung angemessenen Zielinflationsrate von wenigstens 2% zu erhöhen. Das erste Corona-Krisenjahr schien diese Politik zu bestätigen. Der Verbraucherpreisindex stieg nur um 0,5% gegenüber 2019. Dafür maßgebend war der massive Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage gegenüber den großenteils begrenzten Angebotskapazitäten.
Das nachfolgende Post-Corona-Boomjahr 2021 hat urplötzlich die Wende zu einer kaum mehr für möglich gehaltenen Inflationszunahme eingeleitet. Die wieder steigende Nachfrage stieß auf Einschränkungen beim weltweiten Angebot von Gütern und Dienstleistungen vor allem infolge der Lockdowns nicht nur in China gegen die Pandemie. Die Stichworte dazu sind bekannt: Produktionsstätten wurden vorübergehend stillgelegt und Lieferketten etwa durch die Schließung strategisch wichtiger Häfen in China unterbrochen. Der nachfolgende Krieg Russlands gegen die Ukraine löst einen neuen Schub an Angebotsproblemen aus. Hier dominieren die politisch gewollten Sanktionen einerseits und die durch Russland verhängten Lieferbeschränkungen andererseits. Abgesehen von wichtigen Nahrungsmitteln rücken die massiv steigenden Preise für importierte fossile Energie, aber auch andere wichtige Rohstoffe in den Mittelpunkt. Corona-Krise und Russlands Krieg gegen die Ukraine haben jedoch auch langfristig preistreibende Einflüsse vor allem infolge der Globalisierungskrise verschärft. - Neuvermessung der Inflationstheorien
Wie ist dieser rasante Inflationsanstieg zu erklären? Unterschiedliche Theorien zur Inflation, die traditionellerweise an der Angebots- oder Nachfrageseite ansetzen, werden gehandelt. Auch wird die mit Marktmacht von den Konzernen durchgesetzte Preisbildung ins Visier genommen. Diese Theorieversuche sind gemessen an den heute wirkenden Triebkräften der Inflation völlig unzureichend. Angesichts der neuen geopolitischen Herausforderungen sowie der preistreibenden Krise der Hyperglobalisierung bedarf es daher einer von der traditionellen Marktgläubigkeit befreiten Neuvermessung der ökonomischen und politisch erzeugten Ursachen der Inflation. Es geht heute auch um die Frage, ob sich eine Tendenz zur säkularen Inflation andeutet. Dann würde der Preis für den durchschnittlichen Warenkorb der privaten Haushalte Jahr für Jahr steigen. Oder stabilisiert sich das derzeit allerdings hohe Preisniveau? Wichtige nachfolgend untersuchte Einflussfaktoren verweisen nicht auf einen säkularen Inflationsanstieg, sondern auf eine längerfristig angelegte, strukturelle Verfestigung der Inflation vor allem durch die Energie-, Rohstoffund Nahrungsmittelpreise. Die Ursachen der Geldentwertung zu erfassen, dient dem Ziel, daraus die gegen die Inflation zurichtenden Instrumente genauer zu benennen. Für Wirtschaft und Gesellschaft spielen nicht nur die Ursachen, sondern auch die Folgen einer anhaltend hohen Geldentwertung eine wichtige Rolle. Unbestritten ist: Die Inflation wirkt vor allem ökonomisch und sozial zerstörerisch. Ökonomisch verliert das Signalsystem wettbewerblicher Preisbildung noch mehr an Kraft als bisher schon – vor allem, weil es der Macht der großen Unternehmen ausgesetzt ist. Es droht die Gefahr einer Selbstverstärkung der Inflation über die in die heutige Preisbildung einkalkulierte Erwartung weiter steigender Inflation. Die jüngste Entwicklung belegt aber auch die historische Erfahrung: Inflation wirkt zutiefst sozial ungerecht. Sie treibt die Spaltung zulasten der Einkommensschwachen und Armen voran. Eine vierköpfige Familie mit einem verfügbaren Monatseinkommen von bis zu 3.000 Euro zahlt derzeit den vergleichsweise höchsten Preis für ihren Warenkorb.
Viele finanzschwache Haushalte sind bereits heute nicht mehr in der Lage, aus eigener Kraft die Preise für Strom und Gas zu bezahlen. Bis in die Mittelschichten hinein belasten die negativen Realzinsen auf Ersparnisse, die sich nach der Korrektur der Inflationsrate gegenüber dem Nominalzins ergeben, die private Vermögensbildung. Immerhin verweist selbst die Deutsche Bundesbank auf die Erfahrung, dass Kaufkraftverluste „besonders zu Lasten wirtschaftlich schwächerer Bevölkerungsgruppen“ gehen.1
Dort, wo die existenzielle Grundversorgung auf breiter Front durch steigende Preise untergraben wird, muss sich die staatliche Politik dieser durch die Inflation erzeugten neuen sozialen Frage durch den Einsatz eines zielgenauen Systems an Ausgleichsmaßnahmen stellen. Schließlich beeinflusst die Inflation auch die so1 - Geld und Geldpolitik. Eine Publikation der Deutschen
Bundesbank, Kapitel 5: „Der Wert des stabilen Geldes“, Frankfurt/Main 2019, S. 151.