Staatliche Eingriffe bremsen den Wohnungsbau

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«Staatliche Eingriffe in den Wohnungsmarkt helfen nicht, das Wohnungsangebot zu vergrößern. […] sie säen Misstrauen und verknappen das Angebot zusätzlich.» (Hans-Ulrich Rülke, Landtagsabgeordneter der FDP in Baden-Württemberg) (8)

Eine immer wieder gern gehörte Argumentation in Sachen Wohnungsbau. Die Rosa Luxemburg Stiftung hat sich in ihrer Publikation Muss Wohnen immer teurer werden? – Mythen und Behauptungen über Wohnen, Mieten, Kaufen damit beschäftigt und gibt Antworten auf diese Behauptung:


Wie wird argumentiert?

Es gibt in Deutschland einen von fast allen Parteien getragenen Konsens, wonach der Wohnungsbau vor allem die Aufgabe von privaten Akteuren ist. 350.000 bis 400.000 neue Wohnungen im Jahr sind laut Bundesregierung, Deutschem Städtetag und dem Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) notwendig, um auf den Bevölkerungszuwachs in den Großstädten zu reagieren. Der Staat, so eine sehr breit geteilte Auffassung, sei schon durch seine begrenzten finanziellen Ressourcen gar nicht in der Lage, die notwendigen Neubauvorhaben selbst zu realisieren. «Wir sind angewiesen auf die freie Wohnungswirtschaft. Die brauchen wir auf jeden Fall», so die frühere Bundesbauministerin Barbara Hendricks von der SPD.(9)

Fast gleichlautend die Einschätzung von Christian Linder (FDP): «Wir dürfen private Investoren nicht verschrecken.»(10) Und auch Jürgen Michael Schick, Präsident des Immobilienverbandes Deutschland (IVD), bläst ins gleiche Horn: «Die angespannten Mietmärkte in den Metropolen brauchen eine massive Ausweitung des Wohnungsbaus. Ohne die private Wohnungswirtschaft geht das nicht.»(11) 

Je stärker die Interventionen und Auflagen des Staates, so die Argumentation, desto geringer sei die Bereitschaft, Wohnungen zu errichten.

Was ist dran?

Einschränkungen durch Auflagen, langwierige Genehmigungsverfahren sowie wechselnde baurechtliche Anforderungen erschweren immer wieder konkrete Bauprojekte und werden zurecht als bürokratische Hürden wahrgenommen. Der behauptete Effekt, staatliche Regulierungen von Mietpreisen und Belegungsauflagen für Neubauprojekte würden zu einer Verringerung der Bauaktivitäten führen, lässt sich dagegen empirisch nicht belegen. Die Entwicklung der Bauleistungen in den letzten Jahrzehnten zeigt: Auch unter Bedingungen einer weitgehenden Liberalisierung des Bau- und Mietrechts gab es in Deutschland eine stagnierende und teilweise sogar rückläufige Entwicklung. Allein zwischen 1995 und 2010 – also lange vor der Einführung der «Mietpreisbremse» und des Berliner «Mietendeckels» – ist die Anzahl der pro Jahr errichteten Wohnungen von über 600.000 auf unter 160.000 zurückgegangen.(12)

Zuletzt ist die Zahl der neu gebauten Wohnungen leicht gestiegen, liegt aber mit unter 300.000 Fertigstellungen in den letzten Jahren noch weit unter den früheren Werten.(13)

Bauen ist in Deutschland nicht verboten und private Investitionsentscheidungen dürften weniger von staatlichen Auflagen als von den an Neubauten geknüpften Ertragserwartungen abhängig sein. Ganz grundsätzlich gilt: Gebaut wird von Privaten nur dann, wenn damit eine auch im Vergleich zu anderen Anlageformen mindestens durchschnittliche Rendite zu erwarten ist. Sind die Mietniveaus niedrig, lohnt sich die Erstellung von Neubauten nicht, weil davon auszugehen ist, dass Wohnungssuchende den preiswerten Bestand vorziehen werden. Sind Wohnungen in Städten teuer, bietet der Kauf von bereits existierenden Immobilien vor allem für Unternehmen und Personen, die auf der Suche nach einer profitablen Anlegemöglichkeit sind, bessere Gewinnaussichten als eine Investition in den Neubau.

Ohne zusätzliche staatliche Anreize, das macht die historische Entwicklung der Wohnungsbestände seit den 1920er Jahren deutlich, bleiben Neubauaktivitäten begrenzt. Zumindest in den urbanen Ballungszentren ging in der Vergangenheit der Großteil der Wohnungsbauaktivitäten von öffentlichen, gemeinnützigen und genossenschaftlichen und gerade nicht von privaten Bauträgern aus. Gerade weil der Wohnungsbau kostenintensiv und die Zahl der hohen Einkommen begrenzt ist, haben sich private Unternehmen beim Bau von Wohnungen für die Masse der Bevölkerung eher zurückgehalten. Dagegen wurden allein im Zeitraum von 1949 bis 1989 in der alten Bundesrepublik fast fünf Millionen Wohnungen von gemeinnützigen Wohnungsunternehmen errichtet. Das entspricht einem Viertel aller in diesem Zeitraum gebauten Wohnungen.(14)

Das Beispiel von Berlin zeigt darüber hinaus: Die Bau- und Wohnungswirtschaft war gerade in den Zeiten am leistungsstärksten, in denen sie mit besonders strikten Auflagen konfrontiert war. Die meisten Wohnungen wurden in den 1920er Jahren unter den Bedingungen von staatlich festgesetzten Mieten und einer Hauszinssteuer – das heißt einer Steuer auf Einnahmen aus Wohnungsvermietungen – gebaut.(15)

In den 1960 Jahren entstanden Wohnungen fast ausschließlich im Rahmen von Förderprogrammen des sozialen Wohnungsbaus, und in den 1980er Jahren war es das staatliche Bauprogramm der DDR, das zu Spitzenwerten bei der Erstellung von Wohnungen führte. Selbst die relativ hohen Neubauzahlen Anfang der 1990er Jahre sind auf staatliche Subventionen zurückzuführen, denn ohne die umfangreichen Steueranreize der sogenannten Sonder-AfA (Sonderabschreibung für Anlagen) hätte es keinen Bauboom in Berlin gegeben.

Fazit

Anders als behauptet, gibt es also keinen empirischen Beleg dafür, dass staatliche Eingriffe den Wohnungsbau bremsen. Eher das Gegenteil ist der Fall: Mehr Wohnungsbau braucht starke staatliche Interventionen.


8 Zitiert nach Badischer Mieterring (Hrsg.): Mietermagazin, Frühjahr 2016, S. 4.
9 Zitiert nach Presseportal von NDR/DAS ERSTE: Analyse: Privater Neubau hilft nicht gegen Wohnungsnot, 23.6.2016. 10 Interview mit Christian Lindner zur Berliner Enteignungsdebatte, in: Bild, 13.4.2019, unter: www.bild.de/politik/ inland/berlin-regional-politik-und-wirtschaft/miet-wahnsinn-fdp-chef-lindner-will-neubau-statt-enteignung-61228198.bild.html.
11 Immobilienverband Deutschland: SPD legt Axt an private Wohnungswirtschaft, 2019, unter: https://ivd.net/2019/09/spd-legt-axt-an-private-wohnungswirtschaft/
12 Ifo-Institut: Entwicklung des Wohnungsbaus in Deutschland bis 2016. Studie im Auftrag der Wüstenrotstiftung, München 2013, S. 27.
13 Statistisches Bundesamt: Baufertigstellungen von Wohnungen in Wohn- und Nichtwohngebäuden in Deutschland in den Jahren 2002 bis 2019, Wiesbaden 2012, unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/39008/umfrage/baufertigstellungen-von-wohnungen-in-deutschland/
14 Verband niedersächsisch-bremischer Wohnungsunternehmen: Tätigkeitsbericht 1989, Hannover 1990.
15 Vgl. hierzu auch Häußermann, Hartmut/Siebel, Walter: Soziologie des Wohnens: Eine Einführung in Wandel und Ausdifferenzierung des Wohnens, Weinheim 1996, S. 112–130.